Zeitfenstermanagement im Straßengüterverkehr

Ausgangssituation und Problemstellung


Zeitfenstermanagementsysteme (ZMS) haben in den letzten Jahren zu einer steigenden Effizienz an der Laderampe geführt. Von dieser Entwicklung profitieren primär Industrie- und Handelsunternehmen durch eine Steigerung der Transparenz, Planungssicherheit und gleichmäßigen Auslastung im Wareneingang. Für Speditionsunternehmen wird die strikte Vergabe von Zeitfenstern hingegen zur Herausforderung. Sie werden durch Zeitfensterrestriktionen mit einem erhöhten Aufwand und einer zunehmenden Komplexität bei der Tourenplanung konfrontiert.

Zusätzlich sind mit dem Einsatz von ZMS häufig finanzielle Konsequenzen, beispielsweise verursacht durch Buchungsgebühren, Wartezeiten und Ineffizienzen bei der Tourenplanung, verbunden. Diese Problematik besitzt aufgrund des hohen Kostendrucks auf dem Transportmarkt und des sich abzeichnenden Fachkräftemangels bei Disponenten, insbesondere für kleine und mittlere Speditionsunternehmen, eine hohe Relevanz.

Zeitfenstermanagementsysteme aus der Perspektive von Lagerhausbetreibern und Spediteuren.
Zeitfenstermanagementsysteme aus der Perspektive von Lagerhausbetreibern und Spediteuren.

Zielsetzung

Ziel des IGF-Vorhabens „Zeitfenstermanagement im Straßengüterverkehr“ war es, die Auswirkungen von ZMS unter Berücksichtigung der Strategien einzelner Akteure mit einem Fokus auf Spediteure und Lagerhausbetreiber simulationsbasiert zu untersuchen. Hieran anknüpfend sollten in einer akteursübergreifenden Betrachtung Koordinationsmechanismen zur verbesserten Nutzung von ZMS entwickelt und deren Wirksamkeit simulationsbasiert bewertet werden. Mit einem Fokus auf den Disponenten sollten außerdem verfügbare Assistenzsysteme zur Entscheidungsunterstützung bei der Tourenplanung mit Zeitfenstervorgaben ausgelotet sowie deren Grenzen und Potenziale untersucht werden. Die Ergebnisse der Simulationsstudie und ein praxistauglicher Leitfaden zur Dokumentation zentraler Projektergebnisse stehen Speditionsunternehmen zur Verfügung, um Erkenntnisse und Handlungsempfehlungen aus dem Projekt zur Verbesserung von Planungs- und Dispositionsprozesse nutzbar zu machen.

Zielsetzung des IGF-Vorhabens.
Zielsetzung des IGF-Vorhabens.

Zentrale Ergebnisse

Die Projektbearbeitung erfolgte in sieben Arbeitspaketen. Arbeitspaket 1 umfasste die Problembeschreibung und -abgrenzung. In Arbeitspaket 2 wurde bereits in einer frühen Phase der Projektbearbeitung ein grundlegendes Simulationsmodell entwickelt. Dieses wurde auf der Basis einer umfassenden Datenerhebung im Rahmen von Arbeitspaket 3 angepasst und weiterentwickelt. In Arbeitspaket 4 wurden realitätsnahe und repräsentative Szenarien definiert. Anhand dieser Szenarien wurden in Arbeitspaket 5 simulationsbasiert die Auswirkungen ausgewählter Verhaltensweisen von Lagerhausbetreibern und Koordinationsmechanismen zur verbesserten Nutzung von Zeitfenstermanagementsystemen (ZMS) untersucht. Eine Konzentration auf den Disponenten und dessen Verhaltensweisen erfolgte in Arbeitspaket 6, bevor in Arbeitspaket 7 die Dokumentation der Ergebnisse in Form eines Leitfadens vorgenommen wurde.

Im Rahmen von Arbeitspaket 1 wurde eine umfassende Recherche in der wissenschaftlichen Literatur sowie in der deutschsprachigen Praxisliteratur durchgeführt. Als zentrales Ergebnis konnte herausgestellt werden, dass in der praxisorientierten Literatur die Perspektiven von Lagerhausbetreibern und Spediteuren gleichermaßen thematisiert werden und ZMS häufig im Kontext von operativen Problemen an der Laderampe behandelt werden. In der wissenschaftlichen Literatur steht hingegen die Perspektive des Lagerhausbetreibers im Vordergrund. ZMS werden zumeist im Zusammenhang mit der Zulaufsteuerung von infrastrukturellen Knotenpunkten wie Häfen betrachtet. Vermehrt werden Zeitfenster auch als Restriktionen in mathematischen Optimierungsproblemen in der Touren- und Ablaufplanung berücksichtigt. Folgen für den Dispositionsprozess von Spediteuren und Verletzungen von Zeitfensterrestriktionen werden kaum untersucht. Diese nicht hinreichende Berücksichtigung der Perspektive des Spediteurs bzw. des Disponenten konnte als Forschungslücke identifiziert und als Anknüpfungspunkt für die Projektbearbeitung begründet ausgewählt werden.

Zentrale Ergebnisse der Literaturanalyse.

Aufbauend auf den Ergebnissen der Literaturanalyse wurde ein agentenbasiertes Simulationsmodell zur Darstellung der Prozesse bei der Disposition mit Zeitfenstervorgaben und der Durchführung der Touren entwickelt. Als Ziel wurde festgelegt, ein Modell mit mehreren Spediteuren und Lagerhäusern zu entwickeln, in dem die Prozesse der Tourenplanung, der Zeitfensterbuchung und der zeitfenstergesteuerten Anlieferung abgebildet werden können. Zum Erreichen der Zielsetzung wurde ein agentenbasierter Ansatz gewählt und die Interaktionen zwischen Disponenten, Lkw-Fahrern, Lagerhausbetreibern in einem generischen Transportnetzwerk modelliert. Hierbei wurden für die in der Abbildung rosa hinterlegten Felder möglichst realistische Annahmen getroffen. Das konzipierte Modell wurde mit der Software AnyLogic 8.0.5 in ein Computermodell überführt. Das Simulationsmodell wurde verifiziert und validiert. Zusätzlich wurden Möglichkeiten zur Auswertung der Simulationsergebnisse implementiert. Im Fokus der Auswertung standen die Fahrt- und Wartezeiten der LKW sowie der aktuelle Status der verfügbaren Zeitfenster und der Auftragsbearbeitung.

Konzeption des Simulationsmodells.

Zur Weiterentwicklung des Simulationsmodells wurden Planungs- und Ausführungsaufgaben sowie charakteristische Verhaltensweisen der Akteure detailliert und praxisorientiert in Workshops, Interviews und in Fallstudien aufgenommen. So wurden drei Verhaltensweisen von Lagerhausbetreibern, vier typische Vorgehensweisen zur Durchsetzung von Zeitfenstern und drei zentrale Problemfelder an der Laderampe identifiziert. Darüber hinaus wurden 19 Koordinationsmechanismen zur verbesserten Nutzung von ZMS entwickelt.

Die 19 identifizierten Koordinationsmechanismen wurden nach zwei Kriterien kategorisiert. Zum einen wurde untersucht, welchen Umfang die Konzepte aufweisen. Isolierte Konzepte betreffen primär einen einzelnen Akteur und somit nur den Lagerhausbetreiber oder Spediteur. Bilaterale Konzepte sind als akteursübergreifende Koordinationsmechanismen zu verstehen, die zwischen zwei Akteuren angesiedelt sind. Diese erfordern somit eine zusätzliche Abstimmung und Kommunikation zwischen dem Lagerhausbetreiber und Spediteur. Netzwerkbasierte Konzepte sind übergreifende Konzepte zur Koordination des gesamten Transportnetzwerkes. Diese betreffen somit mehrere Spediteure und bzw. oder mehrere Lagerhäuser.

Im Rahmen der Datenerhebung aufbereitete Inhalte.
Entwickelte Koordinationsmechanismen.

Die Datengrundlage aus Arbeitspaket 3 diente zur Ableitung realitätsnaher Szenarien für die Simulationsstudie. Es wurden sechs der 19 identifizierten Koordinationsmechanismen in das Modell integriert. In der Simulationsstudie wurden diese jeweils mit einem Szenario für den Einsatz von Zeitfenstern (strikter, flexibler oder kein Einsatz) und einem Szenario für die Einplanung von Zeitfenstern (kürzeste Tour, schnellste Tour) kombiniert. Darüber hinaus konnte eine systematische Variation der Auslastung im Transportnetzwerk vorgenommen werden.

Würfel zur Definition relevanter Entscheidungs- und Umweltszenarien.

In der Simulationsstudie wurde aufgezeigt, dass die Wartezeit an der Laderampe von der Strategie des Lagerhausbetreibers abhängt. Insgesamt kann der Einsatz von ZMS zu einer Reduzierung der durchschnittlichen Wartezeit pro Anlieferung beitragen, wobei bei einem flexiblen Einsatz größere Reduzierungen als bei einem strikten Einsatz zu verzeichnen sind. Es erweist sich als Vorteil, dass beim flexiblen Einsatz von ZMS bei freien Zeitfenstern (z. B. wenn sich der eingebuchte LKW verspätet) nach dem FIFO-Prinzip weiter entladen wird und verspätet ankommende LKW trotzdem noch abgefertigt werden. Die koordinierende Wirkung von ZMS entfaltet sich jedoch erst, wenn die Auslastung im Transportnetzwerk entsprechend hoch ist. Vor diesem Hintergrund erweist sich der Einsatz von ZMS zur Reduzierung der Wartezeiten insbesondere im beliebten Anlieferzeitraum am Vormittag als nutzbringend.

Die Wirkung von sechs ausgewählten Koordinationsmechanismen wurde in der Simulationsstudie getestet. Eine Reduzierung der durchschnittlichen Wartezeit gegenüber keiner Koordination als Basisszenario wurde durch eine beschleunigte Freigabe von Zeitfenstern bei sich abzeichnenden Verspätungen und eine höhere Bepreisung beliebter Zeitfenster am Vormittag realisiert. Die beiden bilateralen Koordinationsmechanismen erwiesen sich somit in der Simulationsstudie als wirkungsvolle Maßnahmen. Vergleichbare Wartezeiten, wie bei unterlassener Koordination, konnten bei einer doppelten Buchungsmöglichkeit, blockweisen Zeitfensterfreigabe und einer priorisierten Buchungsreihenfolge festgestellt werden. Die durchschnittlich höchsten Wartezeiten traten bei lokal beschränkten Auftragsvergaben auf, die sich somit in der Simulationsstudie als nicht wirksam erwiesen.

Zur differenzierten Auseinandersetzung mit den zunehmenden Anforderungen an den Disponenten wurde der Prozess der Disposition und Zeitfensterbuchung detailliert untersucht. Hierfür wurde der Dispositionsprozess bei Vor-Ort-Besuchen aufgenommen und eine Evaluierung verfügbarer Assistenzsysteme zur Unterstützung des Disponenten durchgeführt. Im Zentrum der Untersuchung standen insbesondere kleine und mittlere Speditionsunternehmen, die aufgrund eines geringen Auftragsvolumens und eines wechselnden Kundenkreises mit spezifischen Anforderungen konfrontiert werden.

40 ausgewählte Softwarelösungen wurden anhand ihres Webauftritts auf sechs Funktionalitäten zur Unterstützung bei der Tourenplanung mit Zeitfenstervorgaben, der Umplanung von Touren und Ankündigung von Verspätungen untersucht (siehe Abbildung 4). Hierbei zeichnete sich ab, dass gebuchte Zeitfenster bei mehr als der Hälfte der analysierten Softwarelösungen bei der Tourenplanung mitberücksichtigt werden können. Zur Unterstützung bei der ETA-Berechnung und -Kontrolle (Eventmanagement, Live-Tracking, Verkehrsinformationen) zeigte sich, dass am ehesten Live-Tracking Funktionen in Softwarelösungen realisiert werden. Eine Berücksichtigung der aktuellen Verkehrslage und ebenso eine Eventmanagement-Funktion waren nur bei ca. einem Drittel der Assistenzsysteme feststellbar. Bezüglich des Funktionsumfangs zeigte sich, dass dieser bei bestehenden Lösungen stark variiert. Darüber hinaus zeichnete sich ein Trend zu einer Erhöhung der Anpassungsfähigkeit und Individualisierbarkeit der Softwarelösungen ab.

Bewertung der Softwarelösungen.

Basierend auf der Simulationsstudie sowie auf der Datenaufnahme in Workshops, Interviews und durch Fallstudien wurden zehn der 19 entwickelten Koordinationsmechanismen als besonders nutzbringend für kleine und mittlere Speditionsunternehmen identifiziert. Diese sind in der Tabelle grau hervorgehoben. Es zeigt sich, dass Mechanismen, wie das sukzessive Freischalten von Zeitfenstern oder die Ausweitung von Zeitfenstern zu beliebten Öffnungszeiten, zu einer Erhöhung der Flexibilität bei der Buchung beitragen können. Weitere Mechanismen, wie die Flexibilisierung der Wareneingangsplanung und die verbesserte Nutzung von ETA-Daten, setzen an einer Verbesserung der zeitfenstergesteuerten Anlieferung an. Gemein ist den Maßnahmen, dass sie eine Zunahme der Kommunikation und des Austauschs von Echtzeit-Daten zwischen Lagerhausbetreibern und Spediteuren erfordern.

Eckdaten:

Laufzeit: Januar 2016 bis Dezember 2017

Förderer: Das IGF-Vorhaben (18499) der Forschungsvereinigung Bundesvereinigung Logistik e.V. – BVL, Schlachte 31, 28195 Bremen wurde über die AiF im Rahmen des Programms zur Förderung der Industriellen Gemeinschaftsforschung (IGF) vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert.


Hier finden Sie das Literaturverzeichnis.